Eigentlich …

Ja, dieses „eigentlich“ ist schon ein interessantes Wort in unserem Leben: Es zeigt, dass wir etwas anderes tun, als wir uns vorgenommen haben oder, etwas anders passiert, als erwartet. Aber wenn man sich darauf einlässt und nicht dem „eigentlich“ nachhängt, kann das Leben auch spannende und schöne neue Momente bieten.

Am Freitag fühlten wir uns nach Glåmå und nicht nach Hamar, besser gesagt, der Weg an der Glåmå fühlte sich richtig für uns beide an. Eigentlich wollten wir relativ früh los und nach Flisa auf den Campingplatz radeln.

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Aus dem früh los wurde nichts, da wir noch Willem aus Holland trafen, der auch gerade durch Norwegen radelt. Ein sehr angenehmer und offener Mensch, mit dem wir zusammen frühstückten. Er wird nächsten Montag 60, was auch der Anlass für seine Tour ist. Sein Ansatz ist: zwei Monate unterwegs sein und einen Monat Zeit nehmen, zum daheim wieder Ankommen. Ehrlich gesagt, haben wir das Ankommen noch gar nicht geplant. Wir hatten viel zu plaudern: u.a. über unsere Kinder und sein Enkelkind aber auch über die „Nordkap-Radler“, die Willem nur „Kilometer-Fresser“ nannte. Ihm geht es, so wie uns, dass ihm Begegnung wichtiger ist als Streckenlänge, wobei wir das andere hier nicht abwerten wollen, es ist einfach nur ein anderer Ansatz oder ein anderes Ziel.

Der Tag war schwül und die Strecke bis Flisa zog sich. Aber endlich haben wir es erreicht, nur noch über die Holzbrücke – angeblich, die längste der Welt wie wir später erfuhren. Am Ende stand das Schild zum Campingplatz:

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Unfassbar, ich hatte den Platz zwei Mal im Internet recherchiert, die letzten Eintragungen waren von diesem Jahr…. Später erfuhren wir, dass der Platz vor ganz kurzer Zeit verkauft und dann aufgegeben worden ist. Was nun? Noah hat schon etwas geweint, weil er nicht wusste, wo wir übernachten werden und wir waren einfach fertig von der Etappe und frustriert, keinen Platz für den Ruhetag gefunden zu haben. OK, dann erstmal in den Ort fahren und die fehlenden Lebensmittel für das Wochenende kaufen. Zwischen dem Ende der Holzbrücke und dem Ort lag aber noch ein kurzer Anstieg, der Kategorie „Schieben“, welcher unsere Laune nicht gerade aufgeheiterte. In dem Zustand parkten wir unsere Räder vor einem kleinen Einkaufscenter mit Supermarkt. Direkt neben uns stellte Britt, die uns ein kurzes Stück vorher schon freundlich gegrüßt hat, ihr Rad ab.

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„På Sykeltur?“ „Ja, wir fahren Rad, aber eigentlich sind wir gerade ein bisschen verzweifelt und suchen einen Platz für die Nacht!“ Und so kamen wir ins Gespräch, erst über mögliche Schlafplatzoptionen, die aber wieder verworfen wurden. Es kam noch eine Bekannte von Britt aus dem Laden, die gleich ins Gespräch involviert wurde und einen Badeplatz an der Glåmå in ein paar Kilometer Entfernung kannte und empfahl. Danach sagte Britt noch, dass es immer einen Weg gibt und wir nicht den Mut verlieren sollen. Daraus entspann sich ein weiteres Gespräch, dass wir nach dem Einkauf, als wir sie wieder trafen weiter entfalteten und wir über Gott und das Leben sprachen. Sie erzählte, von ihrem Enkel, der mit erst 11 Jahren vor neuen Monaten an Krebs gestorben ist und ihrem Sohn, der für eine Krebsstiftung eine Benefizradtour von Norwegen nach Paris radelt. Wir erzählten von Jolene und merkten, wie nah wir uns waren und wie gut das Reden tat. Wir drückten uns und verabschiedeten uns mit den Worten, sie sei für uns heute ein Engel gewesen. Was ihr ein unglaubliches Strahlen ins Gesicht zauberte.

Mit neuem Mut und neuer Kraft radelten wir zur Badestelle. Kurz vor der Stelle hielten wir noch einmal an einem Friedhof, um den Weg zu checken, als eine Frau, die gerade ein Grab gegossen hat, auf uns zu kam, uns den Weg genau beschrieb und sagte: „Das ist eine schöne Stelle, da könnt Ihr gut zelten.“  Die Stelle selbst war ein Traum: einige hundert Meter Sandstrand am Fluss, ein Unterstand, Toilette – alles sauber und für einen Freitagabend nicht viel los. Wir badeten erst, kochten Essen, während Noah mit vier norwegischen Mädchen Kontakt schloss und „Volleyball“ spielte und verbrachten dort eine ruhige Nacht.

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Während wir am Samstagmorgen unseren Kaffee schlürften bauten ein paar Leute aus dem Ort dort ein Partyzelt auf. Kurz überlegten wir, ob wir uns noch einen zweiten Kaffee für den Nachmittag kochen sollten, verwarfen dies aber aus Unentschlossenheit.

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Dann kamen wir mit Jan (einer der Zeltaufbauer) schnell ins Gespräch, er bot uns an, dass wir in seinem Garten Trinkwasser holen könnten. Nachdem schnell klar war, dass er ein pensionierter Lehrerkollege von Anja ist und wir beim Zeltaufbau mithalfen, wurde aus dem Wasserangebot eine Einladung zum Kaffee.

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So verbrachten wir eine sehr schöne Zeit bei Jan und Agnes im Garten. Takk for sist, Jan og Agnes. Det var veldig hyggelig hos deres! Auch hier kamen wir schnell in ein richtig gutes Gespräch, während Noah in der „Enkelspielzeug-Kiste“ stöbern durfte. Als sie uns die Geschichte vom Tod ihres Sohnes erzählt haben, war eine tiefe Verbindung geknüpft. Jan gab uns noch gute Tipps für die Weiterfahrt und wir verabschiedeten uns mit besten Wünschen und gegenseitigen Einladungen. Was für ein geschenkter Tag!

Beim Nachsinnen sind wir immer noch ganz sprachlos. Eigentlich wollten wir doch nur auf einen Campingplatz gehen….

Beflügelt und mit Rückenwind rollten wir dann noch ein gutes Stück an der Glåmå entlang und standen an deren Ufer keine drei Meter vom Wasser entfernt für die Nacht.

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Sonntagmorgen: Zelt auf, ins Wasser rein und dann am Sandstrand frühstücken. Wow, auch so kann Norwegen im Sommer sein.

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Jetzt stehen wir in Kongsvinger für die Mittagspause und wollen wiedermal eigentlich nur noch zu einem Campingplatz fahren, der (falls es ihn gibt) ist aber noch 35 km entfernt.

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2 Gedanken zu “Eigentlich …

  1. Danke für schøne Worte undt tolle Bilder Anja und Jörg.
    Hübsch Campingplatz, den Sie bei Kongsvinger gefunden haben.
    Veil Glück auf der Reise.
    Wir sind sie enthalten auf der Blog.

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